Auf ein Wort,

Zusammenarbeit im Netzwerk der Nationalkommissionen

Dr. Roland Bernecker

Dr. Roland Bernecker
Generalsekretär der Deutschen UNESCO-Kommission

Kerli Gutmann

Kerli Gutman
Generalsekretärin der Estnischen UNESCO-Kommission

Interview mit Dr. Roland Bernecker, Generalsekretär der Deutschen UNESCO-Kommission und Kerli Gutman, Generalsekretärin der Estnischen UNESCO-Kommission

Die UNESCO arbeitet als einzige UN-Sonderorganisation mit Nationalkommissionen. Was ist Ihr Gestaltungsspielraum?

Bernecker: Das ist sehr unterschiedlich und hängt auch von der Struktur und Rechtsform der Kommission ab. Allgemein aber gilt, dass alle Kommissionen unabhängig von ihrer strukturellen Verankerung erhebliche Handlungsspielräume haben und diese auch nutzen. Dies geschieht nicht zuletzt in der Kooperation der Kommissionen untereinander. Das deutsche Modell einer Mittlerorganisation, die den Gestaltungsspielraum eines privatrechtlichen Vereins hat, aber zugleich eng und vertrauensvoll mit den relevanten staatlichen Stellen zusammenarbeitet, ist besonders gut geeignet, um fachliche Substanz und innovative Projektformate mit politischer Wirksamkeit zu verbinden.

Gutman: Auch die Estnische Nationalkommission ist institutionell unabhängig und arbeitet zugleich sehr eng mit der Regierung  zusammen.  Sie  ist  erste  Beraterin in allen UNESCO-Belangen. Wir wirken mit an der Gestaltung von Politik und ganz praktischen Aktivitäten in Estland in den Wirkungsfeldern der UNESCO. Es gibt große Erwartungen seitens der UNESCO an Nationalkommissionen – wir sollen die Zivilgesellschaft einbinden, zur Umsetzung von Programmen beitragen, die Nutzung des Logos überwachen, Netzwerke gründen und vieles mehr. Als kleiner Staat und als kleine Nationalkommission achten wir sehr genau darauf, welche Prioritäten wir setzen. Über allem steht die Frage: Welche Programme, Netzwerke und Initiativen sind relevant in und für Estland?

Seit 2015 arbeiten Nationalkommissionen der EU/EFTA Länder eng zusammen. Wie profitieren Sie davon?

Gutman: Deutschland hat eine wichtige Rolle bei der Gründung des informellen europäischen Netzwerks der Nationalkommissionen gespielt. Aus meiner Sicht hat sich der Nutzen dieses Netzwerks bereits sehr deutlich gezeigt. Für Estland ist es enorm hilfreich. Das jährliche Treffen ist eine sehr gute Plattform, um sich vor den Sitzungen des Exekutivrats zu beraten. Ich schätze die gemeinsame Webseite und besonders das dortige Forum enorm für den Austausch. Die Idee, unsere guten Erfahrungen bei der Kooperation auf regionaler Ebene mit anderen Weltregionen zu teilen, sollten wir unbedingt in die Tat umsetzen.

Bernecker: Die engere Kooperation in dem erweiterten EU-Kreis ist ein Projekt, das mich bereits viele Jahre umgetrieben hat. 2015 haben wir dann endlich den Durchbruch geschafft mit einer sehr erfolgreichen Gründungskonferenz in Bonn. Wir arbeiten nicht nur für die globalen Zielsetzungen der UNESCO, sondern leisten auch unseren Beitrag zu dem großen Friedensprojekt der Europäischen Union. Das tun wir zum Beispiel durch eine web-basierte Kommunikation zu allen Aspekten unserer Arbeit. Wie bei jeder guten Kooperation kommt es auf Kommunikation und Vertrauen an. Vertrauen entsteht durch Gespräche und Begegnungen. Gelegenheit hierzu besteht mindestens einmal im Jahr auf einer gemeinsamen Arbeitstagung in wechselnden Ländern.

Estland hatte gerade erst den Vorsitz im Rat der Europäischen Union inne. Welche Rolle spielte dabei die Nationalkommission?

Gutman: Es war das erste Mal, dass Estland den Vorsitz im Rat der Europäischen Union übernommen hat. Deshalb gab es viele Unsicherheiten aber auch Freude diesbezüglich. Estland war zeitgleich Mitglied im UNESCO-Exekutivrat, so dass wir einen Geschmack der Verpflichtungen des Vorsitzes im Rat der Europäischen Union bekommen haben – regelmäßige EU Koordinationsrunden, eine noch engere Zusammenarbeit mit unserer Ständigen Vertretung in Paris, die Unterstützung von Kulturveranstaltungen am UNESCO-Hauptsitz und vieles mehr.

Welche Rolle kann das europäische Netzwerk bei der anstehenden Reform der UNESCO spielen?

Bernecker: Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben in zentralen politischen Fragen in der UNESCO nach wie vor meist völlig unterschiedliche Positionen. Das schwächt nicht nur die europäische Stimme in der UNESCO, es schwächt auch die UNESCO selbst. Hier müssen die EU-Mitgliedstaaten vorankommen. Ich hoffe, dass die neue französische Generaldirektorin eine stärkere Kohärenz Europas bei den nun anstehenden Entwicklungen mobilisieren kann. Hierzu sollte sie im Rahmen der vertrauensvollen deutsch-französischen Zusammenarbeit auch die Unterstützung Deutschlands erhalten. Zu einer solchen politischen Kohärenz können natürlich auch die Kommissionen einen Beitrag leisten. In den Reformprozess können Nationalkommissionen zudem ihr umfangreiches Wissen über den Nutzen der UNESCO-Programme und Konzepte in den jeweiligen Ländern und der Region einbringen. Sie können deutlich machen, wo die UNESCO-Ansätze bereits wirken und wo sie vielleicht noch mehr Schlagkraft entwickeln müssen.

Wir beobachten, dass nationale Interessen zunehmend über europäische Interessen gestellt werden. Wie beeinflusst das Ihre Arbeit?

Bernecker: Wir hören von Kolleginnen und Kollegen aus einigen Ländern, dass ihre Arbeit schwieriger wird. Die allerorten erstarkenden nationalistischen Strömungen schwächen gezielt die Bereitschaft, sich für internationale Kooperation einzusetzen. Dies betrifft das europäische Projekt genauso wie die Arbeit der UNESCO. Es ist eine gefährliche Entwicklung, denn durch eine Stärkung der Egoismen verlieren am Ende alle.

Gutman: Für Estland spielt der Multilateralismus eine große Rolle für die internationalen Beziehungen. Wir beobachten diese Entwicklung deshalb mit großer Sorge. Alle estnischen Organisationen, die sich mit Außenpolitik befassen, haben ein gemeinsames Ziel: Multilateralismus stärken und ein vereintes Europa mit möglichst vielen gemeinsamen Positionen entwickeln.

Was sind aus Ihrer Sicht zentrale Themen für das Jahr 2018 und wie werden Sie diese bearbeiten?

Gutman: 2018 wollen wir unsere Arbeit mit jungen Menschen stärken. Wir wollen junge Menschen auch in das europäische Netzwerk der Nationalkommissionen einbinden. Zudem unterstützen wir die Pläne einer Reform des Netzwerks der UNESCO-Projektschulen, da es ein tolles Instrument zur Stärkung von Global Citizenship Education ist. Auch werden wir verschiedene Initiativen zum Immateriellen Kulturerbe, zu den Biosphärenreservaten und dem Weltdokumentenerbe weiterentwickeln. Eine Priorität im Bereich der Menschenrechte wird die Förderung indigener Menschen sein, so dass wir uns schon freuen, zum Internationalen Jahr von indigenen Sprachen 2019 beitragen zu können.

Bernecker: Inhaltlich haben wir drei Schwerpunkte. Den Fokus bilden die Themen Bildung und Erbe in ihrem ganzen Reichtum, ein drittes Thema ist Freiheit und Vielfalt in der Wissensgesellschaft. Außerdem müssen wir uns natürlich sehr ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen, wie sich die UNESCO weiterentwickeln muss, um eine relevante politische Kraft im ebenso wichtigen wie störanfälligen System der globalen Governance zu bleiben.

Weitere Informationen

Über die Deutsche UNESCO-Kommission

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