Für eine inklusive Bildung in Deutschland

Resolution der 77. Hauptversammlung der Deutschen UNESCO-Kommission anlässlich ihrer Sitzung am 30. Juni 2017 in Bonn

Resolutionen der Deutschen UNESCO-Kommission

Über die Verabschiedung von Resolutionen der Deutschen UNESCO-Kommission beschließt die Hauptversammlung auf ihrer jährlichen Tagung.

Zur Übersicht der Resolutionen aus den letzten Jahren

Die inklusive Bildung steht derzeit im Zentrum der bildungspolitischen Debatten in Deutschland. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, an die Idee von Gesellschaft zu erinnern, von der das Leitprinzip einer inklusiven Bildung abgeleitet und von der es getragen ist. Danach sind Vielfalt und Heterogenität konstitutiv für jede Gesellschaft. In einer humanen Gesellschaft erfährt jeder Mensch mit seinen individuellen Eigenschaften, Interessen und Bedürfnissen Anerkennung und Wertschätzung und erhält die Chance auf gesellschaftliche Teilhabe. Jede Form der Exklusion wirkt einem friedlichen, sozialen und humanen Zusammenleben entgegen. Inklusive Bildung ist ein wichtiger Baustein für die Entwicklung einer Gesellschaft, in der in dieser Weise Vielfalt gelebt und jedem Menschen die Chance auf Teilhabe gewährt wird.

Die UNESCO vertritt einen umfassenden Inklusionsbegriff, der alle Menschen einschließt. Danach bedeutet inklusive Bildung, dass allen Menschen die gleichen Möglichkeiten offen stehen, an qualitativ hochwertiger Bildung teilzuhaben und ihre Potenziale entwickeln zu können, unabhängig von besonderen Lernbedürfnissen, Geschlecht, sozialen und ökonomischen Voraussetzungen.

Im September 2015 hat die Weltgemeinschaft die 17 Ziele der Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung verabschiedet, die bis 2030 erreicht werden sollen. Ziel 4 ist die Bildungsagenda 2030, für deren internationale Koordinierung die UNESCO die Federführung hat. In dieser historisch einmaligen globalen Bildungsagenda, die sich an Industrie- und Entwicklungsländer gleichermaßen richtet, ist inklusive Bildung ein Leitprinzip. Das Ziel der Bildungsagenda 2030 lautet:
„Bis 2030 für alle Menschen inklusive, chancengerechte und hochwertige Bildung sicherstellen sowie Möglichkeiten zum lebenslangen Lernen fördern“

Das Leitprinzip einer inklusiven Bildung wurde bereits in mehreren Resolutionen der Deutschen UNESCO-Kommission gewürdigt¹. Das deutsche Bildungssystem ist jedoch – trotz vieler Fortschritte – noch weit davon entfernt, inklusive Bildung für alle Menschen zu verwirklichen. Daher weist die Deutsche UNESCO-Kommission im neuen Rahmen der Bildungsagenda 2030 erneut auf die Bedeutung inklusiver Bildung hin.

Die Botschaft der Bildungsagenda 2030 lautet: Eine Bildungspolitik, die sich für inklusive Bildung einsetzt, verfolgt nicht nur ein lokales Anliegen, sondern arbeitet für die wichtigsten Ziele der Weltgemeinschaft.

Die Deutsche UNESCO-Kommission

  1. bekräftigt nachdrücklich das für die Weltgemeinschaft verpflichtende Ziel der Bildungsagenda 2030: eine inklusive, chancengerechte und hochwertige Bildung sowie Möglichkeiten zum lebenslangen Lernen für alle Menschen;
  2. begrüßt das Leitprinzip einer inklusiven Bildung, das die unterschiedlichen Bedürfnisse und Talente aller Lernenden in den Mittelpunkt rückt, Vielfalt als Chance für lebenslange Lern- und Bildungsprozesse begreift und u.a. alle Formen von Förderbedarfen sowie sozial- und migrationsbedingte Disparitäten adressiert;
  3. ist überzeugt, dass angesichts der zunehmenden Heterogenität in allen Bildungseinrichtungen inklusive Bildung das Leitprinzip von Bildungspolitik und Bildungspraxis sein muss;
  4. betont, dass durch eine gute Umsetzung dieses Leitprinzips die Qualität in der Bildung gesteigert und die Chancengerechtigkeit gestärkt wird;
  5. unterstreicht die Notwendigkeit ehrgeiziger Zielvorgaben für das deutsche Bildungssystem, um das Recht aller Menschen auf eine inklusive Bildung, lebenslang sowie in formalen und non-formalen Kontexten, in allen Bundesländern sicherzustellen;
  6. fordert Bundestag und Bundesregierung auf,
    - ein mit Ländern und Kommunen abgestimmtes und mit ausreichenden Ressourcen versehenes Programm zur Förderung der inklusiven Bildung, von der frühkindlichen Bildung bis zum Übergang von der Schule in die Arbeitswelt und zu Möglichkeiten der Weiterbildung, aufzulegen, das u.a. die Unterstützung regionaler Inklusionsnetzwerke sowie bauliche Maßnahmen zur Barrierefreiheit und zur Verbesserung der räumlichen Voraussetzungen enthält;
    - Forschung zu inklusiver Bildung, von der frühkindlichen Bildung bis zur Erwachsenenbildung, verstärkt zu fördern und sich insbesondere auch dem Thema Qualität in der inklusiven Bildung zu widmen;
    - auch mit ihrer eigenen Öffentlichkeitsarbeit intensiv für die Verwirklichung einer inklusiven Bildung zu werben;
  7. fordert die Länder auf,
    - gemeinsam Standards für die weitere Umsetzung inklusiver Bildung zu entwickeln und dabei auch die Verpflichtungen aus dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) umzusetzen, unter Berücksichtigung der Kommentare (General Comments) des UN-Fachausschusses zur UN-BRK;
    - Konzepte für die planvolle Zusammenführung von Förderschulen und allgemeinen Schulen zu einem inklusiven Bildungssystem mit den dafür erforderlichen personellen und finanziellen Ressourcen zu erstellen und umzusetzen;
    - Lehrkräfte durch multiprofessionelle Teams in ihrer Arbeit zu unterstützen;
    - inklusive Bildung als verpflichtenden Bestandteil der Aus-, Fort- und Weiterbildung für alle pädagogischen Berufe vorzusehen;
    - regionale Inklusionsnetzwerke zu fördern, welche Bildungseinrichtungen mit kommunalen Institutionen und der Zivilgesellschaft verbinden;
    - gemeinsam mit Arbeitgebern und Arbeitsverwaltung die Berufsorientierung und die Übergänge in der Ausbildung benachteiligter junger Menschen zu verbessern und Wege in den Arbeitsmarkt zu ebnen;
  8. ruft darüber hinaus alle Verantwortlichen in Bildung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft dazu auf, sich für eine inklusive Bildung einzusetzen: durch die Förderung von Projekten und Maßnahmen, die Bereitstellung finanzieller und personeller Ausstattung sowie durch nachdrückliches, evidenzbasiertes Werben für eine breite Unterstützung in der Gesellschaft.

¹ In ihrer Resolution vom Juni 2011 hat die Deutsche UNESCO-Kommission unterstrichen, dass der Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung für alle Menschen unabhängig von Geschlecht, Herkunft, sozialen und ökonomischen Voraussetzungen, Behinderung oder besonderen Lernbedürfnissen eines der wichtigsten Ziele der UNESCO ist. Vor Verabschiedung der Bildungsagenda 2030 hat die Deutsche UNESCO-Kommission in ihrer Resolution vom September 2015 bereits begrüßt, dass inklusive Bildung einen Schwerpunkt der Bildungsagenda 2030 bildet, und „ambitionierte innerstaatliche Zielwerte zur Umsetzung der globalen Bildungsagenda“ eingefordert.