UNESCO-Welterbe Ivrea - Industriestadt des 20. Jahrhunderts

Modell einer modernen Industriestadt

Die im italienischen Piemont gelegene Industriestadt Ivrea wurde Anfang des 20. Jahrhunderts von Camillo Olivetti als industrielles und soziokulturelles Projekt gegründet. Als außergewöhnliches Zeugnis einer modernen Vision des Zusammenspiels von Industrie und Architektur wurde sie 2018 in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen.

Die italienische Stadt Ivrea beidseitig des Flusses Dora Baltea besteht aus zwei Teilen: die Altstadt und die Industriestadt Ivrea. Der in die Welterbeliste aufgenommene Teil der Industriestadt entwickelte sich seit dem Jahr 1908 als Testgelände für die Firma Olivetti, die durch die Herstellung von Schreibmaschinen, Taschenrechnern und Bürocomputern bekannt wurde. Die Entwicklung der Stadt ist eng mit der Entwicklung der Firma verwoben. So umfasst der aus 27 Gebäuden bestehende Komplex eine große Fabrik, Verwaltungs- und Wohngebäude sowie soziale Einrichtungen.

Fakten

Der architektonische Aufbau der Stätte spiegelt die Ideen der „Movimento Comunità“ (Gemeinschaftsbewegung) in Italien wider. Diese Bewegung wurde 1947 gegründet und basiert auf dem Buch „L’Ordine Politico delle Comunità“ (Die politische Ordnung der Gemeinschaft) von Adriano Olivetti, dem Sohn des Firmengründers Camillo Olivetti. Darin forderte er die Neuordnung des Landes in autonome, durch einen gemeinsamen kulturellen Hintergrund vereinte Gemeinden. Im Unterschied zu anderen industriellen Unternehmern seiner Zeit erkannte Olivetti die Notwendigkeit, seinen Angestellten auch soziale Leistungen zu bieten. Der Einfluss der „Movimento Comunità“ auf die Bereitstellung von Gebäuden als Wohnungen sowie für soziale Zwecke gilt als Antwort auf die Herausforderungen der schnellen industriellen und sozialen Veränderungen im 20. Jahrhundert. Die Stätte ist somit nicht nur architektonisch herausragend, sondern auch ein bedeutsames Zeugnis der Ideengeschichte, obwohl die meisten Funktionen der gewerblichen Gebäude bis heute zurückgegangen sind.

Porträtserie

Im Rahmen der 42. Sitzung des UNESCO-Welterbekomitees 2018 in Manama, Bahrain, wurden 19 Stätten neu in die Liste des Welterbes aufgenommen. In ihrer Gesamtheit versinnbildlichen sie die Vielfalt und Bandbreite des gemeinsamen Kultur- und Naturerbes der Menschheit.

Zur Porträtserie

Auszug aus dem Statement of Outstanding Universal Value, 2018

„The industrial city of Ivrea is an ensemble of outstanding architectural quality that represents the work of Italian modernist designers and architects and demonstrates an exceptional example of 20th century developments in the design of production, taking into account changing industrial and social needs.”

„Die Industriestadt Ivrea ist ein Ensemble herausragender architektonischer Qualität, das die Arbeit italienischer moderner Designer und Architekten repräsentiert und ein außergewöhnliches Beispiel der Entwicklungen des 20. Jahrhunderts in Produktionsdesign unter Berücksichtigung der wandelnden industriellen und sozialen Bedürfnisse darstellt.“

Architektonischer Ausdruck wirtschaftlicher und sozialer Visionen

Der Höhepunkt der Entwicklung der Industriestadt Ivrea lag in den 1930er bis 1960er Jahren, als führende italienische Architekten und Stadtplaner unter der Leitung Adriano Olivettis und vor dem Hintergrund seiner sozialen und politischen Ideen einen Großteil der Gebäude entwarfen. Seither gelten sie als ein Zusammenspiel von außergewöhnlicher architektonischer Qualität (Aufnahmekriterium iv). Die Stätte zählt zu den weltweit ersten und größten Ausdrücken einer modernen Sichtweise in Bezug auf Produktion, auf die Verbindung von Architektur und sozialen Aspekten in historischen Entwicklungen des Industriebaus sowie auf den Wandel von mechanischen zu digitalisierten industriellen Technologien. Sie zeigt auf, wie Theorien der Stadtentwicklung und der Architektur Antwort auf industrielle und soziale Veränderungen sein können. Somit konnte die Stätte zur Entwicklung der Theorien der Urbanisierung und Industrialisierung des 20. Jahrhunderts beitragen.

Moderne Architektur als Welterbe

Stätten des 19. und 20. Jahrhunderts und insbesondere Stätten der Architektur der Moderne weltweit galten bisher aufgrund mangelnder Anerkennung in der Öffentlichkeit und schwachen rechtlichen Schutzes als gefährdet. Als Reaktion darauf riefen das UNESCO-Welterbezentrum, ICOMOS und DOCOMOMO („International Working Party for Documentation and Conservation of Buildings, Sites and Neighbourhoods of the Modern Movement“) im Jahr 2001 das Modern Heritage Programme ins Leben. Das Programm verfolgt das Ziel, Aufmerksamkeit auf die Architektur, Stadtplanung und Landschaftsgestaltung der Moderne zu lenken. Es soll so zur Identifikation, Dokumentation und Förderung dieser Stätten beitragen.

Eines der Ziele des Modern Heritage Programmes war und ist die bessere Repräsentation dieses besonderen Typus‘ des baulichen Erbes in der Welterbeliste. Seither haben Vertragsstaaten zunehmend Bauten der architektonischen Moderne identifiziert und als Welterbe vorgeschlagen. So wurden in Deutschland zum Beispiel „Das Bauhaus und seine Stätten in Weimar, Dessau und Bernau“ (1996, 2017 erweitert), „Die Siedlungen der Berliner Moderne“ (2008) und die transnationale Stätte „Das architektonische Werk von Le Corbusier – ein herausragender Beitrag zur Moderne“ (2016) als Welterbe anerkannt.

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