Auf ein Wort,

Der Schutz des Welterbes ist Aufgabe aller

Dr. Mechtild Rössler

Dr. Mechtild Rössler
Direktorin der Abteilung für Kulturerbe und des Welterbezentrums, UNESCO

Mechthild Rössler zu den größten Bedrohungen des Welterbes heutzutage und der Frage, warum der Schutz von Kultur- und Naturerbestätten auch angesichts der aktuellen Weltlage so dringend ist?

1.073 Natur- und Kulturstätten in 167 Ländern verzeichnet die UNESCO-Welterbeliste derzeit. Aachen feiert nächstes Jahr sein 40-jähriges Jubiläum als Welterbestätte gemeinsam mit den weiteren in der ersten Runde aufgenommenen Stätten. Wie hat sich die Konvention in den letzten vier Jahrzehnten verändert?

Die Arbeit der Konvention hat sich grundlegend geändert: Die Konvention ist mit 193 Staaten universell geworden und hat über 1.000 Welterbestätten gelistet, das ist an sich positiv. Allerdings kann der Arbeitsaufwand nicht mehr bewältigt werden – weder vom Welterbezentrum, dessen Personal von 42 auf 27 reduziert wurde seit die USA nicht mehr ihren Beitrag an die UNESCO zahlt, noch von den beratenden Organisationen ICOMOS (Internationaler Rat für Denkmalpflege), IUCN (Internationale Union zum Erhalt der Natur und ihrer Ressourcen), ICCROM (Internationale Studienzentrale für die Erhaltung und Restaurierung von Kulturgut), noch in den Staaten und von den Welterbekoordinatoren selbst oder im Welterbekomitee. Das Komitee muss jedes Jahr mehr Stätten auf ihren Erhaltungszustand untersuchen und viele mehr gehörten eigentlich auf die Gefahrenliste aufgrund schlechter Infrastrukturmaßnahmen, die sich auf das Welterbe auswirken, aufgrund von Naturkatastrophen, Wilderei in Naturschutzgebieten oder von Zerstörungen einzigartiger Kulturstätten durch Konflikte.

Die Konvention hat aber auch zu unglaublich positiven Impulsen geführt, zum Beispiel indem sie die UNESCO-Empfehlung von 2011 zu historisch gewachsenen Stadtlandschaften maßgeblich mit angestoßen hat oder mit klimapolitischen Empfehlungen, die von allen Staaten der Konvention 2007 verabschiedet wurden, oder mit dem Richtlinienpapier von 2015, mit dem Prinzipien der nachhaltigen Entwicklung in alle Prozesse der Konvention eingeführt werden.

Was sind die größten Bedrohungen des Welterbes heutzutage?

Die größte Gefährdung im 21. Jahrhundert ist die mutwillige Zerstörung von Kulturstätten, wie wir sie seit der Sprengung der Buddhas von Bamiyan erfahren müssen. Dies hat auch zu einer gemeinsamen internationalen Reaktion geführt: der UNESCO Declaration Concerning the Intentional Destruction of Cultural Heritage aus dem Jahr 2003 und dennoch sind inzwischen zahlreiche Gebiete betroffen: Timbuktu in Mali, Palmyra in Syrien oder Hatra in Irak. Das sind genau die Stätten, die verschiedene Kulturen über Jahrtausende verknüpft haben! Bereits 1972 wurde in der Konvention auf wachsende Bedrohungen aufmerksam gemacht. Es wurde darauf hingewiesen, dass das Kulturerbe und das Naturerbe zunehmend von Zerstörung bedroht sind, nicht nur durch die herkömmlichen Verfallsursachen, sondern auch durch den Wandel der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse, der durch noch verhängnisvollere Formen der Beschädigung oder Zerstörung die Lage verschlimmert.

Wie kann der Schutz der Stätten gelingen?

Ich denke, dass wir bei solchen globalen Dimensionen nur gemeinsam etwas erreichen können. Genau das haben wir beispielsweise beim Wiederaufbau der von Extremisten zerstörten Mausoleen von Timbuktu bewiesen und die lokale Bevölkerung hat mitgewirkt mit traditionellen Techniken, verschiedene Geldgeber - unter anderem die EU, Frankreich, Norwegen, Schweiz und Deutschland durch einen Beitrag zum Schutz der Manuskripte von Timbuktu. Auch die Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen MINUSMA hat uns unterstützt und der internationale Gerichtshof hat den Führer der Extremistengruppe, die die Mausoleen zerstört hat, AlAhmad Al Faqi Al Mahdi verurteilt. Jetzt gibt es Reparationszahlungen an die Opfer. Aber wir müssen viel mehr präventiv tätig sein, auf allen Ebenen.

Warum ist der Schutz von Kultur- und Naturerbestätten auch angesichts der aktuellen Weltlage so dringend?

Das Kultur- und Naturerbe der Welt trägt zur Friedensbildung bei. Das haben wir beispielsweise ganz stark über die Kampagne #unite4heritage mitbekommen und auch bei unseren Jugendforen während der Welterbesitzungen. Junge Menschen, die daran teilgenommen haben, werden sicherlich nicht in Zukunft Welterbestätten zerstören. Aber wir müssen den gemeinsamen und universellen Charakter dieses Erbes stärker hervorheben, in Schulen, Trainingsseminaren und in der Öffentlichkeit. Da hilft es nicht, wenn das Welterbekomitee unter Druck Stätten einschreibt, die nur aufgrund von kurzfristigen politischen Überlegungen nominiert werden und damit die Glaubwürdigkeit der Konvention unterminieren. Der gemeinsame Schutz des Welterbes ist Aufgabe aller und die Gefahren verstärken sich mit der globalen Entwicklung unter anderem durch den Klimawandel!

Wie tragen Welterbestätten zu nachhaltiger Entwicklung bei?

Die Welterbekonvention beinhaltet bereits den Gedanken der Nachhaltigkeit, denn wir schützen das Erbe ja nicht für uns, sondern für zukünftige Generationen. Aber jede Stätte kann auch direkt beitragen: zum Beispiel durch Einkommen durch lokale Produkte oder Touren für Besucher, die der lokalen Bevölkerung den Lebensunterhalt verschaffen, durch nachhaltige Energien in den Stätten, die die Umwelt nicht belasten, oder durch „Ecosystem Services“ der großen Naturstätten.

Wie können wir Welterbestätten als Lernorte nutzen?

Gerade Welterbestätten sind Lernorte. Sie machen globale Themen unmittelbar erfahrbar: Die Grube Messel erklärt uns die geologische Vielfalt und die Geschichte des Lebens, das Wattenmeer ökologische Zusammenhänge und der Speyerer Dom, das größte Denkmal seiner Zeit, die Geschichte der romanischen Baukunst. Die Welterbeliste stellt an sich kulturelle und biologische Vielfalt dar!

Welche Themen und Aktivitäten werden im Jahr 2018 im Mittelpunkt Ihrer Arbeit stehen?

Ich fürchte, wir werden uns auf der nächsten Sitzung des Welterbes weiterhin mit den vielfältigen Gefahren auseinandersetzen und ungefähr 160 Berichte zu einzelnen Stätten vorlegen, auf deren Grundlage das Komitee über Schutzmaßnahmen entscheidet. Die Erhaltung ist unsere Hauptaufgabe.

Wir müssen täglich Gelder und Personal anwerben, um diese Arbeit leisten zu können. Der Welterbefond hat praktisch kein Geld mehr, um den armen Ländern bei Projekten zu helfen. Wir müssen hier sehr kreativ sein. Mein wunderbares, dynamisches Team hat sich gerade eine neue Kampagne ausgedacht #Give2Heritage, um Welterbe-Projekte vor Ort zu finanzieren.

Darüber hinaus arbeiten wir an bestimmten Themen, wie etwa dem Umgang mit Rekonstruktion. Da gibt es ganz unterschiedliche Auffassungen und für uns in den Vereinten Nationen geht es nicht nur darum, die Bausubstanz von Monumenten zu erhalten, sondern auch darum, wie die oft traumatisierte Bevölkerung in die Pläne zum Wiederaufbau eingebunden werden kann, aber auch um die Frage: muss alles wiederhergestellt werden? Es muss auch Raum geben, um die Zerstörungen zu sehen und mit der Erinnerung umzugehen. Das sind sehr komplexe Themen!

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