Auf ein Wort,

"Für die historische Wahrheit bedeutende Dokumente"

Foto von Professor Dr. Joachim-Felix Leonhard © Deutsche UNESCO-Kommission / Sarah Heuser

Prof. Dr. Joachim-Felix Leonhard
Vorsitzender des Deutschen Nominierungskomitees "Memory of the World"

Das deutsche Nominierungskomitee für das UNESCO-Programm "Memory of the World" hat die Verfahrensunterlagen und Tonbandmitschnitte des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses (1963-1965) für das Weltregister des Dokumentenerbes vorgeschlagen. Im Interview erläutert der Vorsitzende des Expertenkomitees Prof. Dr. Joachim-Felix Leonhard die Hintergründe der Nominierung.

Herr Professor Leonhard, wie begründet das Nominierungskomitee die Auswahl der Dokumente zum Auschwitz-Prozess?

Maßgebend für den Nominierungsvorschlag war die Bedeutung der strafrechtlichen Verfolgung des Holocaust, die mit diesem Prozess erlangt wurde. Die nationalsozialistische Verfolgung und Vernichtung von jüdischen Mitbürgern war ein terroristisches Unternehmen, das sich nicht wiederholen darf. Umso wichtiger ist es, dass nicht nur die Akten des Prozesses, sondern vor allem auch die Tonbandmitschnitte für das Weltdokumentenerbe vorgeschlagen wurden. Nach langer Zeit konnten sich Opfer in ihrer jeweils eigenen Sprache oder Dialekt zu dem grauenhaften Geschehen äußern.

Steht die Nominierung im Zusammenhang mit dem 50-jährigen Jubiläum (2013-2018) der Prozesse?

Das deutsche Nominierungskomitee hat sich schon lange vor dem Jubiläum mit dem ersten Auschwitz-Prozess befasst, weil es bei diesem sensiblen Thema darum geht, die für die historische Wahrheit bedeutenden Dokumente herauszusuchen. Der Vorschlag steht nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem 50-jährigen Jubiläum aufgrund der schon lange laufenden Vorarbeiten. Nichtsdestotrotz überstützen das Jubiläum und der Nominierungsvorschlag sich gegenseitig, um die Aufarbeitung des Themas in die Weltöffentlichkeit zu bringen.

Welche Auswirkungen hätte die Aufnahme der Dokumente in das UNESCO-Register auf die Rezeption der Prozessunterlagen und Tonbänder?

Die Erforschung des ersten Auschwitz-Prozesses neben den anderen Prozessen, die das Grauen der NS-Zeit zum Gegenstand hatten, wird die Aufarbeitung der Holocaust-Geschichte als Teil der deutschen Geschichte nochmals intensivieren. Bei der Untersuchung dieses Teils der Diktaturgeschichte geht es ja auch darum, in das Gedächtnis zu rufen, dass die Würde des Menschen unantastbar ist und dass sich eine solche Verfolgung und Ermordung nicht wiederholen dürfen. Dies ist als Mahnung für die künftigen Generationen wichtig.

Inwiefern dient der erste Auschwitz-Prozess als Beispiel für die juristische Auseinandersetzung mit der historischen Entwicklung und für die gesellschaftliche Aufarbeitung des NS-Regimes im globalen Vergleich?

Es ist das große Verdienst des damaligen hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer gewesen, unerschrocken die Aufklärung über die Ermordungen in Auschwitz voranzutreiben und die Ahndung der Taten herbeizuführen. Vor allem ermöglichte der Prozess den Opfern, sofern sie noch lebten, ihre Würde zurück zu bekommen, besonders durch die Verurteilung der Täter. In diesem Falle war der Rechtsstaat als ein wesentliches Element freiheitlicher Demokratie in der Aufarbeitung der historischen Entwicklungen zentral. Mit Mitteln des Strafrechts wurde ein wichtiger Schritt zur Vergewisserung über das Vergangene und zur Verhinderung eines solchen Verbrechens in der Zukunft getan.

Kann Gedächtnispolitik, wie am Beispiel der Erinnerung an die Verbrechen des NS-Regimes, für die Förderung von friedlichen und toleranten Gesellschaften in Deutschland, Europa und darüber hinaus genutzt werden?

Die Nominierung der Tonbandmitschnitte und Akten des ersten Auschwitz-Prozesses gehört in eine ganze Reihe von nominierten Dokumenten, die mit Blick auf die Menschenrechte im internationalen Register des Weltdokumenterbes eingetragen sind. Diese Dokumente haben vielfach die Aufarbeitung von Diktaturen zum Gegenstand, zum Beispiel in Chile, Kambodscha und Argentinien, um nur drei weitere Länder zu nennen. Zudem soll die Eintragung auch eine andere Eintragung ergänzen, nämlich die Akten des sogenannten Warschauer Ghettos, die vor Jahren schon von der Polnischen UNESCO-Kommission eingebracht worden sind. Frieden und Toleranz können durch Erinnerung und Aufarbeitung von Diktaturen zielführend gefördert werden. Dies ist ein Auftrag, der von Generation zu Generation weitergegeben werden muss.

Weitere Informationen

Deutsche Vorschläge für das "Memory of the World"  

Weltdokumentenerbe  

UNESCO-Weltregister des Dokumenterbes 

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