Auf ein Wort,

Erbe - Vielfalt - Zukunft

Prof. Dr. Christoph Wulf, Vizepräsident Deutsche UNESCO-Kommission

Prof. Dr. Christoph Wulf
Vizepräsident der Deutschen UNESCO-Kommission

Die UNESCO setzt sich für den Schutz und die Weiterentwicklung des kulturellen und des natürlichen Erbes in seinen diversen Ausgestaltungsformen ein. Welcher Zusammenhang besteht zwischen den UNESCO-Programmen – dem Welterbe, dem immateriellen Kulturerbe, dem Dokumentenerbe, den Biosphärenreservaten und auch den Geoparks?

Die von Ihnen genannten Formen des natürlichen und des kulturellen Erbes haben in der globalisierten Welt erhebliche Bedeutung. Lassen Sie mich zunächst auf das kulturelle Erbe konzentrieren: Seine Identifikation und Unterscheidung geht davon aus, dass es in der Weltgesellschaft viele Ausprägungen von Kultur gibt, deren Zeugnisse nicht nur für eine lokale oder regionale Kultur, sondern auch für die Weltgemeinschaft von Interesse sind. Die Vorstellung von einem kulturellen Erbe aller Menschen weltweit beinhaltet, dass trotz großer kultureller Diversität wir als homo sapiens viele Gemeinsamkeiten haben und daher auch von fremden Kulturen emotional angesprochen werden können. Oft sind es ja gerade fremde Kulturen, die uns faszinieren und die uns dabei anregen, uns selbst besser zu verstehen. 

Unser kulturelles Erbe hat viele Formen und Ausprägungen, die eng zusammenhängen. Es gäbe viele Monumente wie den Kölner Dom oder das Taj Mahal nicht, wenn es nicht die zum immateriellen kulturellen Erbe gehörenden Handwerkstechniken gegeben hätte. Entsprechendes gilt für die Orgelmusik und den Orgelbau. Ohne die Fähigkeit, Orgeln zu bauen, gäbe es keine Orgelmusik. Auch schriftliche Dokumente wie die frühen Schriften Martin Luthers gehören zu unserem Erbe. Diese haben nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der deutschen Sprache geleistet, sie sind auch Ausdruck grundlegender Veränderungen in der Religion am Anfang der Neuzeit in Europa.

Gleichzeitig tritt die UNESCO schon seit den 1970er Jahren dafür ein, kulturelles und natürliches Erbe integriert zu betrachten. Die biologische Vielfalt und funktionsfähige Ökosysteme ermöglichen überhaupt erst menschliches Leben. Gleichzeitig prägt der Mensch durch sein Wirtschaften die Landschaft erheblich, sie wird zur Kulturlandschaft mit einer ganz neuen und – bei geeigneter Handhabung – sogar vielfältigeren natürlichen Ausstattung. Zugleich ist unsere heutige Besiedelung und Nutzung der Landschaft entscheidend geprägt von Jahrtausenden alten Landschaftsformen, als Ergebnis geologischer Prozesse. Der Mensch und seine natürliche Umwelt stehen somit in einem engen Beziehungsgeflecht, welches wir für eine nachhaltige Zukunft weise weiterentwickeln müssen.

Biosphärenreservate und Geoparks leisten genau dies, sie sensibilisieren uns für die natürlichen und oft fragilen Voraussetzungen unserer heutigen Gesellschaft. Sie setzen sich zwar auch für den Schutz der Natur ein – wichtiger ist aber jeweils die zukunftsgewandte Ausgestaltung unserer tagtäglichen Nutzung der Natur. Wie kann eine Landwirtschaft aussehen, die die Vielfalt der Arten fördert und nicht reduziert? Wie können Bergbau und Energiegewinnung nachhaltig ausgestaltet werden? Wie können sich ländliche Regionen auf ihre Besonderheit rückbesinnen und dadurch eine eigenständige Identität gewinnen, als lebenswerte Orte, als Tourismusziele und als Wirtschaftsstandort? Es ist an der Zeit, die vielen Formen natürlichen und kulturellen Erbes in ihrem Zusammenhang zu sehen und dadurch zu einem vertieften Verständnis des natürlichen und kulturellen Welterbes zu gelangen.

Warum beschäftigt sich die UNESCO mit diesen Themen in mehreren Konventionen und Programmen mit verschiedenen Aufnahmekriterien und diversen Entscheidungsstrukturen?

Die hier relevanten Programme und Konventionen der UNESCO sind im Verlauf mehrerer Jahrzehnte, also in einem historischen Prozess entstanden. 1972 waren es die Monumente der Menschheit, also die großen Zeugnisse der Hochkulturen, aber auch weltweit einmalige Naturstätten, die zunächst als Ausdruck der Weltkultur galten. In einem einzigen Völkerrechtsinstrument wurden Kulturgüterschutz und Naturschutz zusammengefasst. In der 2003 folgenden Konvention wurde das immaterielle kulturelle Erbe in seiner Bedeutung begriffen und in seinen vielfältigen Ausdrucksformen von der Weltgemeinschaft anerkannt. Damit haben wir nun die Chance, die zahlreichen Wechselwirkungen von Können, Wissen, Weitergeben und den Kulturgütern, darunter die überragenden Bauten und ihre Ausschmückungen, aber auch Kulturerzeugnisse wie beispielsweise Musikinstrumente, Stoffe oder Gerätschaften, herauszuarbeiten. Mit dem immateriellen Kulturerbe geht die Anerkennung "lebender Kultur", der "cultura viva", einher, die für Millionen Menschen als Ausdrucks- und Darstellungsform Bedeutung hat. In der Vielfalt der Konventionen kann man durchaus auch den Ausdruck eines ausdifferenzierten Bewusstseins der Vielfalt der kulturellen Ausdruckformen sehen, das in den letzten Jahrzehnten in der Weltgesellschaft entstanden ist und weiterer Entwicklung bedarf. Die Konvention zum Schutz der Vielfalt kultureller Ausdruckformen von 2005 stärkt deshalb Kulturpolitik und Governance für den Kunst- und Kultursektor.

Zur Gründung des für die Biosphärenreservate zuständigen UNESCO-Programms kamen Ende der 1960er Jahre entscheidende Impulse aus Deutschland. Die Biosphärenreservate prägen seit Jahrzehnten neue Konzepte des Naturschutzes – zum Beispiel Zonierung, zum Beispiel Korridore zwischen Ökosystemen, vor allem aber die Einbeziehung des Menschen und seiner wirtschaftlichen Nutzung der Natur. Im Fall der Geoparks hat man wiederum vor 20 Jahren bemerkt, dass die bisherigen Instrumente der UNESCO nicht ausreichen, um weltweit dafür zu sensibilisieren, dass wir uns bewusster auch mit den geologischen Ressourcen beschäftigen und diese nachhaltiger nutzen müssen.

Welche Entwicklungsperspektiven sehen Sie für das Kultur- und Naturerbe in Deutschland?

In den nächsten Jahren wird es erstens darum gehen, das Interesse für die globale Vielfalt kultureller Ausdrucksformen und ihre Bedeutung für die Weltgemeinschaft weiterzuentwickeln. In diesem Prozess spielen die elektronischen Medien und der Tourismus eine wichtige Rolle; sie können auch dazu beitragen, die Menschen für die Mannigfaltigkeit der Weltkulturen zu sensibilisieren. Dabei besteht eine wichtige Aufgabe darin, die Menschen für die Alterität fremder Kulturen und Lebensformen zu interessieren. Dadurch können alle Formen des UNESCO-Erbes einen wichtigen Beitrag für ein besseres wechselseitiges Verständnis der Menschen und auch für die heutige Vielfalt kultureller Ausdrucksformen leisten. Das Weltkulturerbe kann die Begegnung mit dem Fremden ermöglichen; es enthält die implizite Aufforderung, es zu achten und sich mit ihm auseinanderzusetzen.

Dabei wird zweitens in der Zukunft der Zusammenhang zwischen natürlichem und kulturellem Erbe und Nachhaltigkeit immer wichtiger werden. Welchen Beitrag ein lebendiger Umgang mit den unterschiedlichen Formen des natürlichen und kulturellen Erbes für die Entwicklung von Nachhaltigkeit in den verschiedenen Regionen der Welt leisten kann, gehört zu den zentralen Fragen globaler Entwicklung. Wir müssen in den nächsten Jahren noch viel besser den Nachweis führen, dass an den ausgewiesenen UNESCO-Stätten langjährig erprobte Erfahrungen mit Nutzungsformen, die an den Standort angepasst sind, gelebte Formen der Praxis und die partizipative Einbeziehung der Bevölkerung entscheidende Beiträge für eine zukunftsfähigere Gesellschaft leisten können. 

Erbe erhalten, Vielfalt und Nachhaltigkeit fördern
Kunstinstallation im Hamburger Bahnhof in Berlin

Kultur und Natur

Erbe erhalten, Vielfalt und Nachhaltigkeit fördern

Kultur- und Naturerbestätten, Kulturlandschaften, Können, Wissen, Bräuche und Dokumente spiegeln den Reichtum menschlicher Lebensentwürfe und -erfahrungen. Sie sind der Schlüssel zu Geschichte und Zukunft und verbinden Menschen über Grenzen hinweg. Nachhaltigkeit und Menschenwürde stehen dabei im Zentrum.
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