Auf ein Wort,

„Die Bindetechnik in der Flößerei ist eine Kunst.“

Kulturtalent August

Michèl Grünert
Flößer auf der Saale

Der junge Familienvater Michèl Grünert ist Flößer auf der Saale in Uhlstädt im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt in Thüringen. Im Interview erklärt er, mit welcher Bindetechnik im Mittelalter Flöße hergestellt wurden, wie er gefährliche Floßfahrten durch das Saalewehr meistert und wie die Tradition der Flößerei bis heute lebendig gepflegt wird.

Herr Grünert, wie kamen Sie zur Flößerei?

Ich war schon als Kind sehr holz- und naturvernarrt. Während meiner Kita- und Schulzeit habe ich begeistert die Mitglieder des Flößervereins bei ihrer Arbeit beobachtet. Die Flößerei prägte über Jahrhunderte das Leben in meinem Heimatort Uhlstädt. Das spürt man hier noch heute ganz deutlich. Das gehört auch zu meiner Identität. Der erste Uhlstädter Flößerverein wurde bereits 1874 gegründet, er hing mit der gewerblichen Flößerei zusammen. Die Lohn-Flößerei ging aber Ende der 1930er Jahre zu Ende, weil sie nicht mehr lukrativ war. Grund dafür war der Ausbau der Eisenbahn und damit die Verlagerung des Warentransports auf Schienen und auf die Straße. 1984 fand in Rudolstadt ein großes Folklorefest statt. Die Veranstalter traten an die Uhlstädter, die das alte Handwerk noch beherrschten, heran, ob sie einige Langholzflöße dafür bauen und damit auf der Saale fahren könnten. Schnell fanden sich Interessierte. Einige hatten so viel Spaß daran, dass sie sich entschlossen im selben Jahr wieder einen Verein zu gründen.

Als Kind habe ich mir mal selbst ein kleines Floß gebaut. Damit stand ich während eines Flößerfestes am Saaleufer und habe den Flößern zugewinkt. Mit 16 Jahren bin ich dann 2001 dem Flößerverein beigetreten – als einziger meines Jahrgangs und damals jüngstes Vereinsmitglied. Die Älteren im Verein haben mir alles gezeigt und erklärt. Die Flößerei lernt man beim Zuschauen und dann natürlich beim direkten Mitmachen. Der Altersdurchschnitt der Vereinsmitglieder war damals schon recht hoch, da wurde ich sehr gern aufgenommen. Durch meine Mitgliedschaft habe ich dann Freunde und andere in meiner Generation animiert, ebenfalls mitzumachen.

Ich möchte, dass die jahrhundertealte Tradition der Flößerei auch noch durch meine Kinder und vielleicht auch Enkel und Urenkel betrieben werden kann. Neulich sagte mein dreijähriger Sohn vor dem Einschlafen zu mir: "Papa, ich möchte auch Flößer werden!" Das hat mich sehr motiviert, weiter im Verein mitzuwirken und die Flößerei aufrechtzuerhalten.

Gibt es ein besonderes Erlebnis, das Sie mit der Flößerei verbinden?

Meine Tochter habe ich auf einem Floß taufen lassen: Die Idee hatte ich schon lange. Ein Flößerkamerad sagte irgendwann zu mir, man könnte das auf der Saale mal versuchen. Da war ich ganz begeistert. Somit war der Plan geschmiedet. Der Flößerverein, meine Familie und unser damaliger Pfarrer im Ort haben das voll unterstützt. Der Pfarrer war sogar ganz Feuer und Flamme. Also haben wir es einfach gemacht: Aus Birke habe ich einen Taufstein-Ersatz mit einer Schale gebaut, dazu auch ein Holzkreuz. Das haben wir alles auf dem Langholzfloß montiert, meine Frau hat es schön mit Blumen dekoriert. In der Umsetzung waren dann natürlich meine Flößerkameraden gefragt – der ganze Verein hat geholfen – Hand in Hand, wie wir es gewohnt sind. Da gab's keine Diskussion. Das war eine tolle Sache! Das geht nur in einem Verein, wo es so einen guten Zusammenhalt wie bei uns gibt.

Das Tauffloß mit den Eltern, den Paten, dem Pfarrer und zwei Flößern zum Lenken wurde von einem Touristenfloß mit Verwandten und Bekannten begleitet. Die Freiwillige Feuerwehr war auch noch dabei – die hat mit einem Schlauchboot alles abgesichert.

Kulturtalente

Kulturtalente in ganz Deutschland prägen und gestalten das Immaterielle Kulturerbe. Sie erhalten kulturelle Traditionen durch Anwendung und Weitergabe ihres Wissens und Könnens. Die Deutsche UNESCO-Kommission stellte von Juli 2016 bis Juli 2017 12 Kulturtalente vor und zeigt, wie sie das Immaterielle Kulturerbe hierzulande kreativ weiterentwickeln. Michèl Grünert ist das Kulturtalent des Monats August 2016.

Zur Übersicht aller Kulturtalente

Die Bindetechnik in der Flößerei ist eine Kunst.

Was waren die spannendsten Momente Ihres Flößerlebens?

Ich war schon bei verschiedenen Dreharbeiten für Fernsehsender dabei, auch im Kinofilm "Die Päpstin" spiele ich mit. Für die Dreharbeiten bei Bad Schandau auf der Elbe haben wir ein großes Floß gebaut: 16 Meter lang, 6 Meter breit, zirka 16 Tonnen schwer. Wir haben das Floßholz aus Thüringen mitgebracht, zusammengebaut und dann auf der Elbe mit den Schauspielern entsprechend den Anleitungen des Regisseurs gelenkt. Zu den Deutschen Flößertagen war ich schon in Lenggries und in Altensteig. Auch die Teilnahme beim Internationalen Flößertreffen in La Pobla de Segur in den spanischen Pyrenäen 2006 habe ich in sehr guter Erinnerung. Die Verständigung mit Händen und Füßen war nicht immer leicht, aber es war lustig und ich habe viel mitgenommen.

Was machen Sie, wenn Sie nicht Flößerei betreiben?

Ich bin Handwerksmeister. Im Moment baue ich für mich und meine Familie ein Haus – als Handwerker mache ich dabei natürlich viel selbst. Ich habe außerdem eine kleine Schafzucht, betreibe also auch etwas Landwirtschaft.

Was macht das Wissen und Können der Flößerei eigentlich aus?

Das Fällen und Schälen der Baumstämme und das Zu-Wasser-Bringen des Floßholzes ist keine Hexerei. Die Bindetechnik ist aber schon eine Kunst: Zur Zeit der Lohnflößerei war das etwas anders als heute – es gab damals noch keine Nylonseile, wie wir sie heute nutzen, oder Stahlseile, die sehr teuer waren: Man hat daher kleine Fichtenstämme genommen, diese im Backofen erhitzt, eingedreht, zu Bündeln geschnürt und getrocknet. Vor dem Floßbau wurden die sogenannten "Wieden" ins Wasser gelegt – gewässert, aufgeweicht – dadurch konnten sie gebogen, gedreht und als Verbindung der großen Stämme genutzt werden. Wir können diese aufwendige Methode heute nur noch auf Bildern studieren und zu Anschauungszwecken demonstrieren. Heute arbeiten wir zum Verbinden der Flöße mit Nylonseilen sowie kleinen starken Ästen – wir nennen sie "Knebelhölzer" –, die als Abfallprodukt beim Holzeinschlag entstehen. Das gibt dem Floß eine gute Stabilität.

Die Flößerei als Immaterielles Kulturerbe

Michèl Grünerts Flößerverein Uhlstädt, Oberkrossen und Rückersdorf e.V. ist Mitglied der Deutschen Flößerei-Vereinigung, Initiatorin der 2014 erfolgreichen Eintragung der Flößerei in das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes.

Das Handwerk der Flößerei ist der Transport von Holz auf dem Wasserweg aus holzreichen in holzärmere Gebiete. In der Vergangenheit hat die Flößerei in Deutschland angesichts eines riesigen Holzbedarfs in allen Lebensbereichen der Gesellschaft eine herausragende Rolle gespielt.

Wie geben Sie heute Ihr Wissen und Können der Kulturform weiter?

Wichtig ist die aktive Arbeit mit dem Flößernachwuchs und außerdem eine breite Öffentlichkeitsarbeit. Beides macht unser Verein. Über mehrere Jahre unterhielten wir zusammen mit der örtlichen Grundschule eine AG "Junge Saaleflößer". Seit dem vorigen Jahr gibt es eine daraus entstandene Jugendgruppe des Vereins. Hier sind inzwischen zehn Mädchen und Jungen Mitglieder. Wir erstellen einen jährlichen Arbeitsplan und ein Mitglied des Vereinsvorstands übernimmt besondere Verantwortung für diese Gruppe. In diesem Jahr haben sie schon beim Holzeinschlag, bei der Rückung, beim Holztransport bis zum Einbinden geholfen. Vor einigen Wochen haben wir dann zwei Langholzflöße daraus gebaut. Die Fahrt mit den selbstgebauten Flößen war der Höhepunkt für die Mädchen und Jungen. Durch die Jungflößer sind aber auch Eltern in den Verein gekommen – ein Vater ist inzwischen sogar Vereinsvorsitzender. Die Nachwuchsarbeit hat also über die jungen Flößer hinaus Früchte getragen. 

Ich bin aber guter Dinge, dass die jüngere Generation mehr Verantwortung übernimmt in den nächsten Jahren.

Wie steht es um die Zukunftsperspektive: Ist die Weitergabe der Kulturform gefährdet?

Aktuell ist die Weitergabe der Kulturform nicht akut gefährdet. Bei uns in Uhlstädt und auch in anderen deutschen Flößervereinen funktioniert es ganz gut. Unser befreundeter Flößerverein in Unterrodach im Frankenwald ist zum Beispiel, was den Nachwuchs betrifft, ebenfalls sehr zufrieden. Für unsere Nachwuchsarbeit bekommen wir von anderen Vereinen viel Anerkennung.

Inzwischen wird auch auf vielen deutschen Flüssen wieder gewerbliche Flößerei betrieben, allerdings nicht zum Transport des Holzes, sondern als touristische Floßfahrten. Die touristische Flößerei wird jedoch in Thüringen und auch andernorts durch gesetzliche Auflagen zunehmend eingeschränkt. Dadurch fahren weniger Flöße mit Ausflüglern bei uns, was auch dazu führt, dass Besucher unseres Flößermuseums wegbleiben.

Wie sind Sie als Flößer organisiert?

Fast alle Flößervereine in Deutschland sind in der Deutschen Flößerei-Vereinigung organisiert. Einmal jährlich gibt es den Deutschen Flößertag. 2016 treffen wir uns in Jena. Ich würde mir wünschen, dass hier mehr junge Leute kommen. Ich bin aber guter Dinge, dass die jüngere Generation mehr Verantwortung übernimmt in den nächsten Jahren.

Unser Verein ist seit 1992 auch Gründungsmitglied der Internationalen Flößervereinigung. In Uhlstädt, deutschlandweit und sogar darüber hinaus gibt es ein ausgeprägtes Wir-Gefühl der Flößer: Wir haben ein gemeinsames Hobby, tauschen Wissen und Erfahrungen aus.

Flößerei in Deutschland

Seit dem Mittelalter bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Flößerei in Deutschland gewerblich ausgeführt. Die Techniken wurden in Familien über viele Generationen weitervermittelt. Seit dem Ende der gewerblichen Flößerei – zuletzt wurde kommerziell Anfang der 1980er Jahre noch in Brandenburg geflößt – gibt es heute noch die touristische Flößerei. Sie findet gegenwärtig zunehmend Verbreitung: Mit Flößerfesten und mit Floßfahrten wird in der Öffentlichkeit das Wissen um die alte Handwerkstechnik wach gehalten.

Was macht die alltägliche Vereinsarbeit aus und was sind besondere Ereignisse im Vereinsleben?

Die alltägliche Vereinsarbeit ist abwechslungsreich. Insbesondere der praktische Teil in der freien Natur macht Spaß: Das reicht vom Holzeinschlag über das Schälen, die Stämme zum Einbindeplatz bringen, also an die Saale transportieren, bis hin zum eigentlichen Bau der Flöße. Es gibt in Uhlstädt seit dem Jahr 2000 auch ein Flößereimuseum – einzigartig in Thüringen. Das Betreiben dieses Museums gehört auch zu unserer Arbeit. Hier wird die Geschichte der Saaleflößer anschaulich dargestellt. Die Ausstellung wird ständig aktualisiert. Wir haben das Museum eigenständig gestaltet und die Führungen machen unsere Vereinsmitglieder ehrenamtlich.

Höhepunkt ist das Uhlstädter Flößerfest, das alle zwei Jahre zu Pfingsten stattfindet. Die Planung startet mindestens ein halbes Jahr vorher. Zwei Wochen vor dem eigentlichen Fest findet das "Anflößen" statt, wie wir es nennen. Unsere Einbindestelle ist vom Ort Uhlstädt zirka sechs Kilometer entfernt. Wir treffen uns dort zum Floßbau und bauen vier Langholzflöße mit jeweils zehn Stämmen, zirka drei Meter breit und 16 Meter lang. Die werden dann zunächst ein Stück die Saale heruntergefahren in den Rückstaubereich des Saalewehrs. Dieses besitzt eine zirka sechs Meter breite Floßgasse. Zum Flößerfest wird diese durch den Kraftwerksbetreiber geöffnet, und dann fahren wir über die Floßrutsche etwa ein Kilometer weiter hinunter bis zur Festwiese, wo wir von hunderten Gästen bejubelt werden.

Das Fahren durch das Wehr ist die Hauptattraktion – da sind schon tausende Besucher dabei. Es ist recht gefährlich. Wir machen uns vorher viele Gedanken, wie wir die Floßgasse anfahren. Das erfordert hohe Konzentration und ist ein Kraftakt. Auch im unteren Bereich des Flusslaufs ist Konzentration gefordert: Der Verlauf und die Kiesbänke im Fluss verändern sich ständig und Wasserverwirbelungen schieben das Floß plötzlich in eine unerwartete Richtung. Jede Wehrüberfahrt, eigentlich jede Floßfahrt, ist anders und ein individuelles Ereignis.

Jede Wehrüberfahrt, eigentlich jede Floßfahrt, ist anders und ein individuelles Ereignis.

Wenn das letzte Floß festgemacht hat, wird ein gemeinsames Foto geschossen. Dann hucken wir uns unsere Rucksäcke, die auch zur Tradition gehören, mit den Äxten und Seilen über und ziehen ins Festzelt ein, wo schon zirka Tausend Besucherinnen und Besucher warten, mit denen wir dann gemeinsam feiern. Auch unsere Flößerfreunde aus Unterrodach sind immer dabei. Es gibt eine Musikkapelle, die zum Flößertanz aufspielt, und wir sitzen gemütlich beisammen und genießen unser Flößerleben.

Neumitglieder erleben hier ihre Flößertaufe beim "Fassrollen": Sie müssen sich auf ein altes Holzfass draufstellen, werden von zwei Flößern gehalten und müssen dann über die komplette Bühnenbreite balancieren. Schließlich werden sie von den alten Flößern mit Wassereimern von vorne bis hinten nass gemacht und so "getauft". Mit alten Schrotsägen und Holzböcken veranstalten wir auch ein Wettsägen unter den Flößern. Das sind unsere Rituale beim Flößerfest.

Was bedeutet die Eintragung ins Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes für die Trägergruppe der Flößerei?

Diese Anerkennung ist für uns außerordentlich motivierend. Sie hat maßgeblich dazu beigetragen, dass sich nicht nur in Uhlstädt seit dem letzten Jahr die Nachwuchsarbeit deutlich verbessert hat. Mich persönlich erfüllt es mit Stolz, dazuzugehören. Vielleicht bringt das ja auch was für unsere Region in Zukunft. Das Potenzial ist bestimmt noch nicht ausgeschöpft.

Publikation

Wissen. Können. Weitergeben..
Deutsche UNESCO-Kommission, 2019

Flößerei
Flößerei

Bundesweites Verzeichnis Immaterielles Kulturerbe

Flößerei

Flößerei ist der Transport von Holz auf dem Wasserweg aus holzreichen in holzärmere Gebiete. In der Vergangenheit hat die Flößerei in Deutschland angesichts eines riesigen Holzbedarfs in allen Lebensbereichen der Gesellschaft eine herausragende Rolle gespielt. Nur durch die Flößerei konnte dieser Bedarf gedeckt werden. Sie wurde auf nahezu allen Gewässern betrieben.
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Kulturtalente prägen, gestalten und erhalten
Postkarte Kulturtalente

Immaterielles Kulturerbe

Kulturtalente prägen, gestalten und erhalten

Kulturtalente in ganz Deutschland prägen, gestalten und erhalten Immaterielles Kulturerbe durch Anwendung und Weitergabe ihres Wissens und Könnens. Die Deutsche UNESCO-Kommission stellt zwölf Kulturtalente vor, die persönliche Einblicke geben, wie sie Immaterielles Kulturerbe tagtäglich leben, kreativ weiterentwickeln und an nachfolgende Generationen weitergeben.
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