Porträt Familienzentrum Ludwig-Uhland-Straße, Maintal

Integration in der frühkindlichen Bildung

Kindern von Geflüchteten sowie Migrantinnen und Migranten wird das Recht auf Bildung, von hochwertiger Bildung ganz zu schweigen, in vielen Ländern der Welt noch immer nicht hinreichend gewährt. Einige Regierungen verweigern dies gänzlich. Das stellt der UNESCO-Weltbildungsbericht 2018 / 2019 unter dem Titel „Migration, Flucht und Bildung: Brücken bauen statt Mauern“ fest. Das Autorenteam des Berichts hebt Deutschland für vielfältige Maßnahmen bei der Integration von Geflüchteten sowie Migrantinnen und Migranten positiv hervor. Es sieht jedoch Nachholbedarf bei der Chancengerechtigkeit im deutschen Bildungssystem. Wie die Integration in das Bildungswesen gelingen kann, zeigen viele Beispiele, darunter das Familienzentrum Ludwig-Uhland-Straße in Maintal.

Hinweis für Journalisten

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Eine Kita als Stadtteilzentrum

„Wir verstehen uns als Bildungseinrichtung für die Kinder, aber auch für die ganze Familie“, sagt Gabriele Steltner-Merz. Sie leitet das Familienzentrum Ludwig-Uhland-Straße im hessischen Maintal, eine Kinderbetreuungseinrichtung der Stadt. Und sie hat eine klare Vision: „Alle sollen die gleichen Entwicklungschancen haben. Kinder und ihre Familien sollen sich nicht nach der Institution richten müssen, sondern die Institutionen sollen sich an den Bedürfnissen der Familien orientieren.“

Das 30-köpfige Team um die Leiterin steuert dieses Ziel konsequent an: Die Jungen und Mädchen im Alter von drei bis etwa zehn Jahren entscheiden in Gesprächskreisen und Kinderkonferenzen mit, was in der Einrichtung passiert. Sie bringen Themen ins Haus, aus denen Projekte entwickelt werden. Besonderes Augenmerk legt die Kita auf die frühkindliche Begabtenförderung und Kinder mit Flucht- oder Migrationshintergrund – derzeit lernen im Zentrum 140 Mädchen und Jungen mit 38 unterschiedlichen Nationalitäten. Außerdem versteht sich das Familienzentrum als Sozialraum des Stadtteils.

Familienzentrum ist auch Anlaufpunkt für die Eltern

Regelmäßige Sozialraumanalysen und Elternbefragungen hätten gezeigt, dass die Betreuung der Kinder allein nicht ausreiche, so Gabriele Steltner-Merz. Die Struktur des Viertels ist herausfordernd: Plattenbauten wachsen neben Einfamilien- und Reihenhäusern in die Höhe. Manche Familien leben beengt und isoliert ohne Bekannte und Verwandte, andere Eltern suchen Arbeit. So ist das Familienzentrum oft die erste und einzige Anlaufstelle für die Erwachsenen. „Sie brauchen Begleitung, Unterstützung und Angebote, die sie willkommen heißen, egal, in welcher Lebenslage sie sind“, sagt Steltner-Merz.

Beispielsweise gibt es Deutschkurse sowie ein Elterncafé für Mütter und Väter mit Kindern unter drei Jahren, um den Erwachsenen gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Die Kita bietet Eltern zudem eine aufsuchende Beratung an. Zahlreiche Angebote richten sich aber auch an alle Bürgerinnen und Bürger im Stadtteil: Es gibt Yogakurse und Autogenes Training sowie die Möglichkeit, das Haus für Seminare, Geburtstage und andere Veranstaltungen zu mieten.

Jedes Kind im Blick

In der Kita selbst herrscht ein hoher Anspruch an frühkindliche Bildung: Jedes Kind soll mit seinen individuellen Kompetenzen, seinen persönlichen Interessen und kulturellen Erfahrungen gestärkt und gefördert werden. „Bei uns bekommen alle die gleichen Entwicklungs- und Bildungschancen, egal, aus welchem sozioökonomischen Milieu sie stammen“, sagt Gabriele Steltner-Merz. Deshalb bieten sie psychomotorische Unterstützung und Erziehungsberatung ebenso wie Begabtenförderung an. Außerdem gibt es Angebote wie die Waldgruppe, die jeden Tag im Freien ist, und ein Musical-Projekt.

Das Musical als Integrationshilfe

Das Musical-Projekt ist ein eindrückliches Beispiel dafür, wie Integration gelingen kann. Das serbische Mädchen Sara war im Rahmen einer Familienzusammenführung nach Maintal gekommen. Zwei Jahre lang hat sie Deutsch nur geflüstert. Auf der Suche nach einer Möglichkeit, sie vor ihrer Einschulung an lautes Sprechen zu gewöhnen, setzte das Team auf die Selbstwirksamkeit von Musik. Sara erzählt: „Wir haben eine CD aufgenommen und darauf hat man mich gar nicht gehört. Da war ich traurig. Darum habe ich dann lauter gesungen.“ Erzieher Michael Bergmann freut sich über den Entwicklungserfolg: „Du kannst einem Kind zwanzigmal sagen: Sprich doch laut! Aber das Kind muss selbst merken, dass die Lautstärke wichtig ist, damit es gehört wird und etwas bewirken kann. Da muss kein Pädagoge etwas sagen, das macht das pädagogische Instrument.“

Eine Kita als lernende Institution

Wie Michael Bergmann haben sich auch die anderen pädagogischen Fachkräfte auf ein bestimmtes Thema spezialisiert und bilden sich regelmäßig fort. „Wir verstehen uns als lernendes Team und suchen immer nach besseren Lösungen. Wir haben in Ländern wie Finnland, Italien und der Türkei geschaut, wie Entwicklungs- und Lernbegleitung und die Einbeziehung der Familien in den pädagogischen Alltag gelingen kann. Die Impulse haben wir dann auf unsere Situation angepasst“, berichtet Leiterin Gabriele Steltner-Merz. Zudem bietet das Familienzentrum als Konsultationskita selbst Fortbildungen zur Begabtenförderung an.

Hintergrundinformationen

Frühkindliche Bildung ist entscheidend für die Chancengerechtigkeit in der Bildung. Das unterstreicht der UNESCO-Weltbildungsbericht 2019. Für ihre besonderen Leistungen im Bereich der frühkindlichen Bildung wurde die Kita des Familienzentrums Ludwig-Uhland-Straße im Mai 2018 vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend als „Kita das Jahres“ ausgezeichnet. Sie wurde unter 1.400 anderen Institutionen ausgewählt.

Publikation

Weltbildungsbericht 2019 (deutsche Kurzfassung): Migration, Flucht und Bildung - Brücken bauen statt Mauern.
Deutsche UNESCO-Kommission, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Auswärtiges Amt, 2018

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